Ein Raubmord und ein Raubmörder
Kolumne in der Appenzeller-Zeitung von 1862
Nr. 150‒158
In der appenzell-außerrhodischen Gemeinde Speicher wohnte ein hablicher Bauer, Namens Bartholome Zürcher, geboren den 2. Hornung 1806. Er besaß im Weiler »an der Blatten«, zirka 5 Minuten südlich vom Dorfe entfernt, unweit der Straße nach Teufen gelegen, ein Heimwesen und führte als etwas übelhöriger, unbeholfener, unverheiratheter Mann einen stillen, zurückgezogenen, haushälterischen und durchaus ehrbaren Lebenswandel. Weil vereinsamt, hielt er gewöhnlich Miethsleute bei sich im Hause. An dem verhängnißvollen Tage, von dem wir reden werden, war er jedoch allein in seiner Wohnung; seine zeitherigen Hausgenossen, die Eheleute Kästli, waren eben ausgezogen.
Es war den 14. Mai 1862, Vormittags, 15 bis 20 Minuten nach 11 Uhr, als eine in der Gemeinde Teufen wohnhafte ältere Frauensperson Zürcher besuchen wollte, in der Absicht, ihm ihre Dienste als Haushälterin anzubieten. Sie fand die äußere, sowie auch die innere Hausthüre offen; alles still. In den inneren Hausgang getreten, erblickte sie daselbst zu ihrem Entsetzen einen Mann, auf dem Gesichte im Blute am Boden liegend. Sie erkannte ihn nicht sogleich. In der Meinung, die Eheleute Kästli, mit denen sie bekannt war, wohnen noch im Hause, ruft sie ihnen: »Hans Härech! Bäbeli!« – Keine Antwort. – Indem sie nochmals einen Blick auf die am Boden liegende Leiche wirft, erkennt sie in derselben plötzlich den gesuchten Zürcher. Bestürzt eilt sie von dannen in das nächste Haus, eine Schenke, und macht Mittheilung von dem entsetzlichen Ereigniß. – Zufälliger Weise war der Gemeinde-Polizeidiener zugegen; dieer und der Hauswirth eilten sogleich nach Zürchers Wohnung. Sie fanden die Leiche, wie die Frau gemeldet hatte. Der Kopf lag in einer Lache von Blut und zeigte schwere Quetschungen. Sie wendeten den Körper um – die Brust war durchstochen und mit Blut bedeckt. Im Hause herrschte Todtenstille; Niemand zeigte sich; keine Spur der Person des Thäters konnte wahrgenommen werden. Die beiden Hausthüren, das Thürlein, welches aus dem Hause in den angebauten Stadel führte, die Stuben- und Seitenkammerthüre, sowie die aus der Wohnstube in die Dielenkammer standen offen. In letzterem Zimmer fanden sie den Doppelschrank erbrochen; bei ihm lehnte ein blutbeflecktes Beil. – Der Polizeidiener machte sofort Anzeige bei Amt und blieb als Wache bei der Leiche, zu der sich bald Jung und Alt in neugierigem Schrecken herbeidrängte.
Die Gemeindebehörde ermangelte nicht, die nöthigen Anordnungen zu treffen und schleunige Meldung an das Präsidium des Kantonal-Verhöramtes zu machen, auf dessen Verfügung die Verhörkommission des Landes sofort in Funktion trat. Diese nahm eine lokale und ärztliche Inspektion vor, die den Befund der oben mitgetheilten Thatsachen konstatirte. Die Leiche lag im innern Hausgange, die schwarze Zipfelmütze in einer Blutlache, wo der Kopf anfänglich gelegen. Die Thüren des Schrankes in der Dielenkammer waren stark beschädigt; die Schlösser hiengen lose. Außer dem hier vorgefundenen Beile wurde neben der Leiche ein halber Bogen st. gallischer »Sammlung der Gesetze und Beschlüße von 1858/60« aufgehoben, welcher Eindrücke und Falten enthielt, die auf Einwickelung einer Messerklinge deuteten und der Breite der Stichwunde entsprachen.
Unverzüglich wurde durch zwei berufene Ärzte das gerichtliche visum et repertum ausgenommen. Die Leiche fand sich noch nicht starr, am Nacken sogar noch warm, der Mund halb geöffnet, die Augen offen und noch nicht gebrochen, die Hände halb geschlossen. Nichts deutete auf geleistete Gegenwehr des Todten; die Kleider waren nicht zerrißen; die Hände und Finger hatten keine Wunden. Das Gesicht zeigte mehrere Quetschungen, am Nasenbein, am Rand des Stirnbeines, auf der Mitte und den beiden Seiten der Stirne; doch schienen die erstern mehr vom Falle des Körpers herzurühren. Das Hinterhaupt aber hatte schreckliche Verletzungen, die den Schädel bloßlegten. – An der linken Brust, auf der vierten Rippe, fand sich eine 5½ Linien lange Stichwunde, der viel Blut entquollen war. Der übrige Körper zeigte keine Spur von Verletzung.
Sogleich nach Entdeckung des furchtbaren Vorfalls wurden eifrige Nachforschungen angestellt in Betreff der Personen, die am Vormittag des 14. Mai das Haus Zürchers besucht hatten, oder in dessen Nähe gesehen worden waren. Die alsobald in der Wohnung des Ermordeten vorgenommene Einvernahme jener Frauensperson, die erste Zeugin des gräßlichen Ereignisses gewesen, der Frau Kästli, die auf die Schreckenskunde herbeigeeilt war, des Polizeidieners und jenes Schenkwirthes, der denselben an die Mordstätte begleitet hatte, boten keine Anhaltspunkte und führte auf keine Spur des Thäters; eben so erfolglos blieben einige andere Erkundigungen. Dagegen aber wurde Anzeige gemacht, daß ein gewisser Metzger Schläpfer, wohnhaft an der Steinegg in Speicher, der die Wursterei betrieb und mit seinen Artikeln Hausirte, an jenem Vormittag in der Umgegend sich herumgetrieben habe und in mehreren Schenken ein- und ausgegangen sei. Man wollte ihn zwischen 10 und 11 Uhr hinten am Stadel Zürchers gesehen haben. Nach 9 Uhr hatte er seinen Handkorb in einer Schenke eingestellt, in einem benachbarten Spezereiladen eine Zigarre gekauft und die Richtung nach Zürchers Hause eingeschlagen. Nach Verfluß von zika 1½ Stunden war er wieder in jene Schenke zurückgekehrt, wo er eine bescheidene Erfrischung genommen, und um 11 Uhr in eine andere eingetreten, wo er bis 12 Uhr geblieben und sich am Spiel um 1 Maß Wein betheiligt hatte. Ueberdies konnte der Verhörkommission nicht entgehen, daß sich alsobald der allgemeine Verdacht auf Schläpfer gelenkt hatte, weil bekannt war, daß ihn Geldverlegenheiten drückten, daß Zürcher wahrscheinlich am vorigen Tage für verkauftes Heu eine Summe Geldes eingenommen, und weil Schläpfer von rohem Charakter war und sich oft freche Aeußerungen erlaubt hatte. Aber noch mehr: Es wurde deponirt, daß Schläpfer im Lauf des Vormittags zweimal im Hause Zürchers gesehen worden war. Kästli, der ausgezogene Miethsmann Zürchers, war an jenem Morgen Geschäfte halber nochmals in die verlassene Wohnung zurückgekehrt. Zürcher war draußen mit Feldarbeit beschäftigt. Schläpfer trat ein, bot seine Waare zum Verkauf an und Kästli handelte mit ihm. – Um halb 10 Uhr war ein Milchmann in die Wohnung Zürchers gekommen, um ihm Milch zu bringen. Schläpfer war auch anwesend, sprach mit Zürcher, und bemerkte dem Milchmann, daß er demselben Schindelholz zu Wurstspießen abzukaufen gedenke. Der Milchmann gieng seines Weges und ließ Schläpfer allein bei Zürcher zurück.
In der Zwischenzeit von diesem Momente bis zu dem Augenblick, da jene Frauensperson den unglücklichen Zürcher im Blute liegend getroffen hatte, musste der gräßliche Mord begangen worden sein.
Alle diese auffälligen Verumständungen warfen rechtsgenügenden Schuldverdacht auf
den überdies als etwas roh bekannten Schläpfer, um ihn sofort in Anklagestand zu versetzen. Durch den Landweibel wurde er unverzüglich aus seiner Wohnung, wo er glücklicherweise betroffen wurde, abgeholt und nach Trogen in sichern Gewahrsam gebracht. Er stellte sich willig dem Gerichtsdiener und äußerte auf dem Wege gegen einen Bekannten, er solle, wie es scheine, an dem Vorfall Schuld sein, es sei freilich ein Unglück für ihn, daß man ihn dafür ansehe; aber man müsse der Obrigkeit gehorchen.
Die Verhörkommission beschäftigte sich mit der Sammlung obiger Indizien durch Einvernahme der betreffenden Personen und mit anderweitigen Nachforschungen und Anordnungen bis Nachts 11 Uhr. Nach ihrer Rückkunft in Trogen, es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, wurde Schläpfer in eine Haftzelle abgeführt. Die auf ihm gefundene Baarschaft betrug 34 Fr. 8 Rp.
Des folgenden Tages, Donnerstags den
15. Mai, verfügte sich die Verhörkommission nach der Wohnung Schläpfers, um genaue Hausdurchsuchung vorzunehmen. Es fand sich aber nichts auf den Schuldverdacht Bezügliches vor, als eine Anzahl fliegender Bogen aus dem Bande der st. gallischen »Sammlung der Gesetze und Beschlüsse von 1858/60«, wovon jener bei der Leiche aufgehobene halbe Bogen einen integrirenden Theil bildete. Die Falten desselben schienen mit denen der andern übereinzustimmen. – Die Einvernahme der Ehefrau Schläpfers lieferte keine weitere Verdachtsgründe, weder in Beziehung auf sie selbst noch auf ihren Ehemann.
Nachmittags 2 Uhr wurde durch zwei Aerzte im Beisein der Untersuchungsbehörde und
der Gemeindehauptleute die Legal-Sektion der Leiche vorgenommen.
Die Verletzungen des Hinterhauptes waren so stark, daß der Schädel im ganzen Hintern Umfange vollkommen gespalten war. Der
Rücken des vorgefundenen Beiles paßte in die Schlagwunden. Die Stichwunde in der Brust erstreckte sich durch den untern Lungenflügel und den Herzbeutel bis in die linke Herzkammer. Der Wundkanal war auf der innern Seite weiter eingeschnitten als von außen. Die Wunde schien nach dem ersten Schnitte durch einen zweiten nach oben und innen erweitert worden zu sein. – Das ärztliche Gutachten gieng demnach dahin, daß die Wunden Zürchers demselben durch fremde Gewaltthätigkeit absichtlich beigebracht worden seien, daß die Stich- und Schlagwunden, jede für sich, unbedingt und augenblicklich tödlich waren, daß zu den Stichwunden ein langes, spitzes Messer, zu den Schlagwunden aber wahrscheinlich das vorgefundene Beil gedient haben müsse. Daraus, daß nur eine äußere Stichunde sich vorfand, im Innern aber zwei, mußte gefolgert werden, daß das Messer nach dem Einstechen wieder etwas zurückgezogen und dann vermittelst Hebung oder Senkung des Griffes nochmals ins Herz vorgestoßen worden sei, was etwelche Kenntniß von der Lage des Herzens verrathe. Auf den Kopf wurden wahrscheinlich zwei Hiebe geführt, die dem Unglücklichen erst beigebracht wurden, als er nach erhaltener Stichwunde auf dem Gesicht am Boden lag. Die Schlagwunden zeugen von großem Kraftaufwand.
Und endlich wurde noch an selbigem Tage der inhaftirte Schuldverdächtige zum ersten Male in’s Verhör genommen. Es ist Johann
Ulrich Schläpfer von Grub, wohnhaft auf Steinegg in Speicher, geboren 1821, Ehemann und Vater von zwei Kindern, seines Berufes ein Metzger.
Schläpfer erklärte sich unschuldig; er wäre sonst nicht noch mit andern Leuten in das Haus Zürchers gegangen, um die Leiche auch zu besehen; er sei an jenem Vormittage in diesen und jenen Häusern gewesen, auch zweimal bei Zürcher, das erstemal, um ihm Würste anzubieten, habe aber nur den Kästli im Hause angetroffen, das zweitemal, um ihm Schindelnholz abzukaufen, wie der Milchmann selbst gehört habe. Zu der Zeit, wo das Ding geschehen sein müsse, sei er in der und der Schenke gewesen. Er habe an jenem Vormittage großen Durst gehabt, den er fast nicht stillen konnte. Erst nach dem Mittagessen habe er davon gehört. Er habe auch, wie immer, kein Messer bei sich getragen und überhaupt nie etwas Unrechtes gethan und gute Papiere aus seinen Dienstjahren heimgebracht.
Die Untersuchungsbehörde berief nun alle die ihr bekannt gewordenen Personen, welche über, die Fahrten Schläpfers am Vormittage des 14. Mai Kunde und Zeugniß geben konnten. Ihre in den Hauptmomenten durchaus übereinstimmenden Aussagen erhärteten die Richtigkeit der am Tage des Vorfalles eingegangenen Anzeigen und Ergebnisse der Voruntersuche. Schläpfer hatte um halb 9 Uhr Morgens bei B. Zürcher mit seiner Hausiwaare zugekehrt, war nach kurzem Aufenthalte daselbst in eine benachbarte Schenke getreten, wo er ein Glas Most und Wein trank und seinen Handkorb einstellte, mit dem Bemerken, er gehe nach Trogen hinüber, hatte sich von da in eine andere Schenke begeben und nach kurzer Zeit, nachdem er in einem nahen Hause noch eine Zigarre gekauft, die Richtung nach Zürchers Hause eingeschlagen. Dort wurde er um halb 16 Uhr von jenem Milchmann bei Zürcher stehend angetroffen. Um 10 Uhr hatte man ihn bei Zürchers Hause gesehen. Zwischen 10 und halb 11 Uhr war er wieder in ein etwas entfernteres Wirthshaus eingetreten, nach kurzem Aufenthalt da selbst auf der Straße, die von Trogen nach Speicher führt, in jene Schenke, wo er den Handkorb gelassen, zurückgekehrt, bald darauf weiter gezogen und nochmals in ein Schenkhaus getreten, wo er bis 12 Uhr bei Trunk und Spiel sich aufgehalten hatte.
Aus den eingezogenen Erkundigungen über die Geldsumme, die Zürcher an jenem Tage
besessen haben mochte, ließ sich schließen, daß dieselbe mit dem Betrage, der dem Schläpfer bei seiner Verhaftung abgenommen worden, so ziemlich übereinstimmend gewesen sein dürfte. – Daß Schläpfer in jenen Tagen in Geldverlegenheit war, daß er kleine Posten entlehnt hatte oder hatte entlehnen wollen, sowie, daß er einem seiner Gläubiger auf den Mittwoch Abend eine Abzahlung versprochen hatte, wurde ebenfalls zur Thatsache erhoben.
Am nämlichen Tage nahm die Untersuchungsbehörde eine nochmalige Lokal-Inspektion in der Behausung des ermordeten Zürcher vor und traf hier dessen Schwester und Erbin, die nach erhaltener Schreckenskunde von Heiden herbeigeeilt war. Sie vermißte die Taschenuhr ihres Bruders. Die Ortsbehörde erhielt sogleich Weisung, in der Wohnung Schläpfers nach derselben zu forschen. Ihre Bemühungen blieben erfolglos.
Die unzureichende Vertheidigung Schläpfers, sowie die genannten Indizien konnten der Untersuchungsbehörde kaum mehr Zweifel übrig lassen, daß Schläpfer der Thäter des Raubmordes sei, der an dem unglücklichen Bartholome Zürcher verübt worden. In ihrer Ueberzeugung mußte er der Schuld so gut als überwiesen sein. Sie überließ aber denselben seinem Nachdenken und Insichgehen in der stillen Einsamkeit der Haftzelle und suchte in wohlverstandener und wohlberechneter Auffassung ihres Berufes auf dem Wege der Einwirkung auf Gemüth und Gewissen des Inquisiteli ein freiwilliges Geständniß zu erhalten, ehe sie zu dem umständlicheren, nöthigenden Mittel der Ueberweisung schreiten wollte.
Sie benutzte hiezu den für den Schuldigen, wenn er’s anders war, tief ergreifenden Moment, da am Morgen des folgenden Sonntags, den 18. Mai, von dem nahen Speicher herüber die Todtenglocke erschallte, die seinem unglücklichen Opfer zu Grabe rief und die mit ihren Trauerklängen an das Ohr und Gewissen des Mörders schlug. – Schläpfer wurde vorberufen. »Hört ihr es dem Zürcher in’s Grab läuten? Was sagt euch euer Gewissen?« – »Ich bin schuldig. Ich bin der Thäter. Das Läuten hat mich so ergriffen, daß ein Schauer sich meiner bemächtigt hat; ich will das Bekenntniß ablegen.« Und er thats; und thats mit jener Umständlichkeit, mit jenem Gefühl tiefer Reue und in solcher Uebereinstimmung mit den gesammelten Indizien, daß sein Geständniß keinen Zweifel an der vollen Wahrheit desselben übrig ließ, um so mehr, als er dasselbe bei einem zweiten Verhöre, Mittwochs den 21. Mai, freiwillig bestätigte und theilweise ergänzte. – Auch in den folgenden Verhören über einige Spezialitäten blieb er diesem Bekenntniß treu, gab mit der größten Bereitwilligkeit und Gelassenheit über alles Verlangte Auskunft und benahm sich überhaupt reumüthig und dankbar. Seine Lebensgeschichte wußte er mit seltener Geistessammlung und mit einer Anschaulichkeit zu erzählen, die tiefe Blicke in seinen Charakter, seine Verhältnisse und die verborgenen Gänge seines Herzens und Gemüthes thun läßt und daher reich ist an psychologischen und moralischen Momenten.
Das Geständniß der schwarzen That, das zugleich die Geschichte des Mordes enthält, kennen unsere Leser. Es findet sich in Nr. 149 dieses Blattes; wir wollen es daher nicht wiederholen.
Wie Schläpfer angegeben, fand sich die Uhr, die auf 16 bis 17 Fr gewerthet wurde, wohl versteckt in seiner Metzg und das Stilet vor dem Hause Zürchers im Boden, die Spitze der Klinge aber in der Wand.
Der Thäter war ermittelt und in den Händen der Gerechtigkeit.
Und wer war der Mensch, der mit kaltem Blute um schnöden Geldes willen einem Mitmenschen, der ihm nicht das geringste Leid gethan, ohne Erbarmen niederstechen konnte, und die grenzenlose Frechheit hatte, es zu thun am Hellen Tage, im Hause eines bevölkerten Weilers?
Wer war der Verstockte, der es noch wagen durfte, einige Stunden nach vollbrachter Blutthat sein Opfer in Gegenwart Anderer nochmals zu sehen, sogar zu berühren und auf die Todeswunden hinzuzeigen, dem sein Gewissen noch zuließ, dabei die leichtfertigen Worte hinzuwerfen, in Italien mache man sich freilich nichts daraus, wenn Einer kalt gemacht werde, das passire oft.
War dieser Mensch wirklich ein verhärteter, unverbesserlicher Bösewicht, ein Auswurf der menschlichen Gesellschaft, von ihr gefürchtet und gemieden, ein bekannter Frevler an Gesetz und Ordnung, der auf Diebstahl, Raub und Mord ausgieng?
O nein! Er war ein Mensch von so unbescholtenem Rufe, wie tausend andere, ein Mensch, zwar jähzornig, rachsüchtig und von etwas rohen Sitten, aber ein Bürger, der laut amtlichem Zeugniß »in allen bürgerlichen Ehren und Rechten stund und nach allgemeinem Ausdruck eines guten Leumundes genoß«. Kein Mäckel ruht auf seiner Redlichkeit im Handel und Wandel. Er galt als »dienstfertiger, uneigennütziger, thätiger und arbeitsamer Mensch«. Er war »ein guter, besorgter, seine Kinder liebender Familienvater«. Mit einem Worte, er nahm in der menschlichen Gesellschaft keine andere Stelle ein, als tausende seiner Mitmenschen, die eines natürlichen Todes sterben und die die allgemeine Theilnahme zu Grabe begleitet, während er nun, als Mörder verurtheilt, sein Leben unter dem Schwerte des Scharfrichters endete.
Wie ist es gekommen, daß dieser Mensch so tief sinken, eine so furchtbare That begehen konnte? Das Menschenherz ist ein räthselhaft Ding und seine verborgenen Gänge sind schwer zu erforschen; wir sehen eben nur die äußere Hülle, die es umgibt und die seine inneren Zustände und Bewegungen verdeckt. Mit einem Male, urplötzlich wird ein Mensch nicht zu einem so vorsätzlichen, erbarmungslosen Mörder. Eine Reihe innerer Vorgänge muß vorausgegangen sein, leidenschaftliche Charaktereigenschaften müssen sich unbewacht und ungezähmt entwickelt, äußere Verumständungen deren verderbliche Reife befördert haben, und endlich bedarf es nur eines gewissen Anlasses, um eine That an’s Tageslicht zu bringen, die unerklärlich erscheint und einen fürchterlichen Blick in den tiefen Abgrund des verdorbenen Herzens thun läßt.
Auf einige solcher Spuren leitet uns seine Lebensgeschichte.
Schläpfer war spröden, unbeugsamen, trotzigen Charakters. Schon als Knabe war er ein »Hitzkopf« und wurde manchmal so rasend, daß er sich kaum mäßigen konnte. Er liebte »Balgereien« mit seinen Mitschülern und hatte darum keine eigentlichen Kameraden oder Jugendfreunde, sondern schloß sich bald an diesen, bald an jenen an, je nachdem einer der Ausübung seiner wilden Triebe Vorschub leistete. Er verübte manche schlimme Bubenstreiche. In einer Aufwallung von Zorn und Neid zertrümmerte er einst seinem Bruder einen neuen Schlitten, den dieser zum Christgeschenk erhalten hatte. Er sollte sich mit einem alten begnügen, zur Strafe für bewiesenen Ungehorsam. In Gemeinschaft eines Mitschülers ging er sogar soweit, seinen Lehrer zu mißhandeln, der ihn wegen Unfleiß und störrigem Betragen in der Schule zurückbehalten hatte. Jeder vermeintlichen oder wirklichen Unbill setzte er grimmige Rache entgegen. Seinen Stiefvater, der ihn allerdings zu strenge behandelte, »nahm er zu Haß an und suchte ihn auf alle mögliche Weise zu erzürnen und böse zu machen«. Er unterließ auch nicht, andere in ähnlichen Fällen zur Rache aufzustiften. Sein Lehrmeister, bei dem er das Metzgerhandwerk erlernte, war zufrieden mit seiner Thätigkeit, äußerte aber, keinen spröderen Lehrjungen gehabt zu haben. Als er wegen seines kleinen, schwächlichen Körpers »grundbraven« Leuten übergeben wurde, daß er bei ihnen das Weben erlerne, entlief er nach kurzer Zeit, weil er nicht in den Keller eingesperrt sein mochte. Als Knecht überwarf er sich manchmal mit seinen Meistern, obschon diese seine Thätigkeit und Redlichkeit schätzten. Trotzköpfig ging er immer seinen eigenen Weg und wollte sich nichts sagen lassen. Selbst seine Mutter vermochte wenig über ihn, obgleich er von ihrer treuen Liebe und Sorge überzeugt war. Gegen ihren Willen wanderte er im Jahr 1843 nach Algier aus und trat 7 Monate später in den neapolitanischen Söldnerdienst, in dem er 16 Jahre ausharrte. Er brachte günstige Zeugnisse seiner Bravour nach Hause; hatte sich aber auch manches leichtere und schwerere Disziplinarvergehen zu Schulden kommen lassen. Eines derselben war der Art, daß es ihn, nach seiner eigenen Erzählung, in Gefahr brachte, mit dem Tode bestraft zu werden.
Und als er bei mehrmaligen Versuchen, ein eigenes Geschäft zu gründen und zu betreiben, nicht glücklich war, theils aus Unkenntniß und in Folge unseliger ehelicher Verhältnisse, theils aber völlig unverschuldet, durch die Ungunst der Zeitumstände und durch erlittene Ungerechtigkeiten: da vermochte sich sein trotziges Herz wieder nicht zu beugen; er haderte mit seinem Schicksal und statt haushälterischer und fleißiger zu sein, ergab er sich dem Wirthshausleben und dem Trunke und vernachlässigte seinen Beruf. In der Aufregung des Trunkes nach Hause zurückgekehrt, machte er dann oft seinem Zorne Luft durch Herumwerfen oder Zerschlagen von Gegenständen; und wollte man ihm entgegentreten, so machte er bisweilen fürchterliche Drohungen. Ja, der Moment der blutigen That selbst ist ein Zeugniß seines heftigen, ungestümen, durchsetzenden Charakters. Zürcher ging in seine Kammer, um ihm endlich die hartnäckig verlangten 20 Fr. zu leihen, Schläpfer, wahrcheinlich in räuberischer Absicht, ihm nach. Zürcher, vermuthlich von Unwillen und Furcht ergriffen, wandte sich wieder um, verweigerte auf’s Reue das Anleihen, drohte ihm mit gerichtlicher Klage und wollte das Fenster öffnen, um nach Hülfe zu rufen. Jetzt dachte Schläpfer: »Ich bin verrathen, ich werde eingezogen, bestraft und verachtet. Ich muß, ich muß!« – »Ich wurde zornig, daß er mir das Geld nicht gegeben.«
Es ist klar, daß ein so ungezähmtes Herz nierecht dem Guten und Göttlichen zugewendet sein konnte, obschon es ihm nicht an augenblicklichen tiefen Regungen und Empfindungen gebrach. »Der Konfirmandenunterricht«, sagt Schläpfer von sich selbst, »machte keinen bleibenden Eindruck auf mich. Zum heiligen Abendmahl ging ich das erste Mal mit guten Gedanken und dem Vorsatz, ein guter Mensch zu werden und den alten Menschen abzulegen; indessen hatte der Unterricht keinen solchen Eindruck auf mich gemacht, daß jene Vorsätze in meinem Herzen Wurzel schlugen.« – Mit religiösen Dingen trieb er manchmal Spott; es seien nur so Klausereien, sagte er; todt sei todt; indessen konnte er in der gleichen Viertelstunde wieder anders und ernst werden. Wenn er auf seine verstorbene Mutter zu sprechen kam, so fing er gewöhnlich zu weinen an, sagte, wie sie eine gute brave Frau, gewesen, er wollte, er wäre wie sie, sie habe ihn zum Guten angehalten, aber er habe nicht auf sie gehorcht. Mehr als einmal sagte er auch zu einem seiner Meister, er gehe noch auf ihr Grab, um zu beten, oder er habe auf demselben gebetet.
»Ich erkannte meine Fehler«, äußerte Schläpfer ferner im Verhör, »aber sie abzulegen und mich aufzuraffen, vermochte ich nicht, obschon ich manchmal mit bangem Herzen an die Zukunft dachte.« – »Wenn ich mein Kind sah, so machte dessen Anblick einen solchen Eindruck auf mich, daß mein Blut auch in der höchsten Zornesaufwallung sogleich ruhiger wurde. Ich betete auch einige Male das »Vater Unser« mit ihm, wenn ich es zur Ruhe legte, muß indessen bekennen, daß ich das Gebet für mich seit Jahren versäumte; ich erinnere mich nur, auf der Reise durch Frankreich, wo ich die Sprache nicht verstand und bisweilen mir kaum zu helfen wußte, gebetet zu haben.« – Die Kirche hatte ich nur selten besucht; ich fand keine Erbauung, mein Herz war kalt, ich setzte mich über die Religion hinweg.«
Solch’ eine Natur, wie die Schläpfer’s, hätte einer besonders sorgfältigen Erziehung bedurft, einer Erziehung, die es verstanden hätte, durch Beispiel und Wort die schlimmen Charaktereigenschaften niederzuhalten und dagegen die guten Seiten seines Wesens zu pflegen und heranzuziehen. Leider war dies nicht der Fall. Ein glückliches Familienleben hat er nie gekannt. Seine Eltern waren schon zur Zeit seiner Kindheit richterlich geschieden worden. Sein Stiefvater behandelte ihn hart. Früh mußte er sein Brod unter fremden Leuten suchen und blieb sich selbst überlassen. So konnten die Leidenschaften seines Herzens ungehinert fortwuchern. Er hatte zwar eine gute, sehr gute und verständige Mutter; aber eheliche Verhältnisse banden ihr die Hände. Sie kümmerte sich oft unter Thränen über ihren Ulrich, sowohl während seiner Jugendzeit, als in späteren Jahren. So schrieb sie ihm unter’m 25. März 1852 nach Neapel: ... »Wenn du heimkommst und bescheiden bist, »wirst du gewiß geliebt werden, von Solchen, die du nicht meinst. Du mußt dich aber der vorigen Gesellschaft nimmer annehmen; denn sie ist untreu und falsch, wie du gewiß erfahren hast; diese lassen Einen stecken, wenn sie keinen Nutzen mehr haben. ... Ich will für dich thun, was ich kann. Bist du kindlich, so will ich mütterlich sein. ... Ich will unterdessen (bis du heim kommst) um einen Platz für dich sehen ... Lebe wohl und gedenke an deine dich aufrichtig liebende Mutter und Geschwister. – Und in einem Briefe vom
28. Januar 1851: »Daß du heimkommen willst, freut mich; wenn du arbeiten willst, so ist es uns Allen herzlich lieb. Die Deinigen lassen dich grüßen, mit dem Wunsche, daß Gott dein Leiter und Führer sei in allen Dingen, was eben auch mein herzlicher Wunsch ist. ... Du glaubst nicht, wie gut die Fabrikation jetzt geht. Alle Leute haben die Hände voll zu thun, der Arme wie der Reiche. O, wenn’s nur von langer Dauer ist und die Leute auch nicht so übermüthig würden und auch denken thäten, es könne auch wieder anderst werden, und sie wollen jetzt sparen, weil’s Zeit ist. Es heißt: Spare in der Zeit, so hast du in der Noth! ... Mein Wunsch ist auch, daß du die Zeit, die du noch im Dienst bist, treu und gewissenhaft ausharrest. Ein jeglicher Arbeiter ist seines Lohnes Werth, habe er zu thun, was er wolle. Gott wird dich auch wieder zu etwas Anderem verfügen. Er hat Allerlei für diejenigen, die es recht machen, und dies, hoffe ich, werde dein Vorhaben sein und bleiben. Du bist jetzt in einem Alter, das nimmer flüchtig sein soll. Ich hoffe, du werdest an die Menschen gedenken, die dich in die Ferne gelockt haben und sie als Spreuer achten, wenn du wieder nach Hause kommst, und mehr auf uns sehen, als wie vorher; denn wir meinen es gewiß gut, glaube nur! Nichts soll dir vorgerückt werden aus Bosheit, sondern Alles wollen wir in Liebe zurecht legen. ... Jetzt lebe wohl und gedenke an deine treue Mutter, welche dich nie vergessen hat.« – Als seine Geschwister ihm die Krankheit und den nahen Tod der Mutter meldeten, schrieben sie ihm: »Auf dem Sterbebette unter großen Leiden gedenkt unsere liebe Mutter deiner im fernen Lande, welche immer um dich besorgt war und ist bis zum letzten Augenblick. ... Trauern und dich freuen wirst du, wenn du bedenkst, wie viel Kummer und Sorge die zärtlich und treu liebende Mutter deinetwegen hatte und wie sie dir doch von Herzen verzeiht und vergibt, ja weder Rast noch Ruhe hatte, bis deine Schulden in Ordnung waren. Du bist die beständige Sorge auf ihrem Kranken- und Sterbelager; wie manche Bitte steigt zum Himmel auf für dein Leibes- und Seelenheil! Kein Tag ist vergangen in gesunden und kranken Tagen, wo du nicht fast in jedem Gebete inbegriffen warst«.
Die gute Mutter aber konnte sich des Sohnes nicht, wie sie wollte, annehmen; er war ihrem unmittelbaren Einflusse größtentheils entzogen.
Welcher wohlthätigen Eindrücke übrigens der Knabe fähig gewesen wäre, beweist sein Aufenthalt auf dem Schloße Heidelberg im Thurgau. Als 11-jähriger Knabe war er mit seinem Bruder dahin gekommen, um auf dem Schlosse an dem Unterricht der dasigen Hauslehrer Theil zu nehmen. »Hier war ich sehr gut aufgenommen; Frau M. und Frau Sch. liebten mich, ich mußte zwar pünktlich gehorchen; aber ich that es gerne, und nur ungerne verließ ich (nach 26 Wochen) diesen Aufenthaltsort, was aus dem Grunde geschah, daß ich den übrigen Zöglingen im Unterrichte nicht folgen konnte, weil ich bedeutend jünger war, als sie. Ich erinnerte mich stets mit Freuden dieser in Heidelberg verlebten Zeit. Frau Sch. betrachtete ich als meine zweite Mutter und Frau M., die mit meiner Mutter befreundet war, beschenkte mich, so oft sie zu uns nach Speicher auf Besuch kam.«
Im elterlichen Hause und später während der Lehrzeit beim rauhen Handwerke verwischten sich diese mildern Eindrücke wieder; sein Herz verwilderte und seine Leidenschaften erstarkten.
Diese Verwilderung des Herzens wurde durch sein Soldatenleben in Neapel noch mehr befördert. »Daß man sich im Soldatenleben Manches erlaubt, ist selbstverständlich; allein ein Verbrechen ruht nicht auf mir. Ich habe meinen Abschied in allen Ehren erhalten; dafür zeugen die Certifikate meiner Obern, und diese Zeugnisse habe ich stets mit Freuden gelesen.« – Schläpfer war bei der Einnahme von Messina und erzählte vor Verhör die dabei vorgekommenen Gräuel des Krieges. »Ich konnte gleichgültig und gefühllos den Feind niederstechen und niederschießen; ich habe dies auch gethan bei der Erstürmung des Klosters St. Magdalena, wo die Hälfte unserer Mannschaft in 1½ Stunden fiel. Wir hatten Befehl, alles niederzumachen, keinen Pardon zu geben und auch Niemanden gefangen zu nehmen. Nach der Erstürmung wurden mehrere hundert Menschen, die im Kloster betroffen wurden, niedergeschossen oder denselben das Bajonet in den Leib gesteckt. Wir waren wie wüthend. Wo ich aber keinen Befehl hatte, mißhandelte ich Niemanden, außer einem Pfaffen, den ich auffing und dem Hauptmann zuführen mußte. Derselbe war widerspenstig; ich versetzte ihm einige Kolbenschläge – daß war unnöthig. –Den folgenden Tag wurde er kriegsrechtlich erschossen. Zu jener Zeit schätzte ich ein Menschenleben gering, auch das meinige.«
So konnte es kommen, daß Schläpfer endlich einer That fähig wurde, deren er sich selbst kaum fähig gehalten hätte, wie er auch sagte: »Obschon ich Gebet und Kirche versäumte, mich um alles Religiöse nicht bekümmerte und in dieser Beziehung in den Tag hineinlebte, so ist es mir doch immer unerklärlich, wie ich die furchtbare That begehen konnte, einen Menschen zu ermorden, der mir nichts Leides gethan hat. Es war eine unglückliche Stunde!« – Und doch war auch diese That nur ein natürlicher Ausfluß seines Herzenszustandes.
Wie es mit seinem Innern unmittelbar vor und nach der That beschaffen war, zeigt uns ebenfalls sein eigenes Geständniß: »Ich war in letzter Zeit meines Lebens überdrüssig. Ich war in einer betrübten Lage; kein Fleisch und kein Geld; ich wußte nicht was anfangen, um wieder zu einem Rind zu gelangen, und überdies ein kleines Darleihen, wie ich es versprochen hatte, zurückzuzahlen. Armuth, Kummer und Sorgen ließen mir keine Ruhe. Es war mir mehrere Tage fürchterlich bang. Da mir einmal der Gedanke an Zürcher gekommen war, konnte ich seiner nicht mehr los werden; doch hoffte ich, er würde mir das Geld leihen. Ich dachte hin und her, ob ich es anders machen könne; aber ich fand keine Hülfe und kam immer wieder auf den Gedanken zurück. Am Mittwoch Morgen hielt ich das Messer, womit ich Zürcher erstach, in der Hand, um dasselbe mir in die Brust zu stoßen; ich legte es jedoch wieder auf den »Klotz« und gieng an meine Arbeit. Vorbereitungen zu dem Morde machte ich keine, als daß ich das Messer mitnahm. Ich glaube, obschon ich mich mit dem Messer versah und die Absicht hatte, Zürcher zu tödten, wenn er mir das Geld nicht leihe: ich hätte ihn doch nicht getödtet, wenn er das Fenster nicht hätte öffnen wollen und ich das Geschehene hätte ungeschehen machen können. – Sobald der Mord vollbracht war, fühlte ich, welch’ ein unglücklicher, verworfener Mensch ich nun sei. Bei diesem Gedanken meinte ich, ich wolle mich selbst der Obrigkeit ausliefern; doch fand ich für beser, die That abzuleugnen, wenn ich derselben bezichtet werden sollte. Ich fürchtete jetzt, dieses könnte geschehen, weil ich im Hause des Zürcher gewesen und gesehen worden und nicht wußte, wo das Papier hingekommen, in das ich das Messer eingewickelt hatte. Es kam mir auch in den Sinn, ich könne mich über den Erwerb des Geldes nicht ausweisen; ich hätte es zwar wegwerfen können, allein ich dachte, wenn ich entdeckt werde, so könne es dann den Betreffenden wieder zugestellt werden. Daß ich nach der That noch Wirthshäuser besuchte und auch den Ermordeten noch anzusehen wagte, geschah, um unbefangen zu erscheinen und mich unverdächtig zu stellen. Wie aber mein Inneres beschaffen war, kann ich nicht sagen. Es schien mir, ich könne auf eines jeden Gesicht lesen, man halte mich für den Thäter. Ich empfand eine furchtbare Reue über meine That.«
Von dem Augenblicke an, da er seine Schuld bekannt hatte, benahm sich Schläpfer reumüthig, ergeben, dankbar und den Mahnungen und Tröstungen des Christenthums zugänglich. Erst die schwere Blutschuld ließ ihn sich selbst erkennen und vermochte die harte Rinde seines Herzens zu brechen, wie er auch selbst sagte: »Seitdem ich das Geständniß abgelegt habe, fühle ich mich erleichtert; ich sehe ein, daß ich ein sündhaftes Leben geführt und eine schreckliche That begangen habe und deshalb nicht mehr werth bin, auf dieser Erde noch länger zu leben. Ich verdiene auch die gute Behandlung nicht, die mir hier zu Theil wird. O könnte ich nur dem Zürcher das Leben wieder geben, ich würde gerne sterben; das meinige ist mir zur Last und ich will die kurze Dauer desselben noch anwenden, um mich mit dem lieben Gott auszusöhnen.«
In dieser Gesinnung verharrte er bis an sein Ende.
Unter’m 10. Juni 1862 erklärte die hohe Standeskommission nach Einsichtnahme der Verhörakten die Prozedur Schläpfer’s für geschlossen und übermittelte den Straffall dem löbl. Kriminal und Polizeigericht. Vor demselben, es war am 16. Juni, war der Beklagte durch Rathsherr Bartholome Haas von Grub verbeiständet, welcher in würdiger und wackerer Vertheidigung die That statt als »Mord« als »Todtschlag« zu qualifiziren suchte und auf die Umstände und Verhältnisse hinwies, die mildernd in die Waagschale des Richters fallen dürften. – Der Angeklagte selbst erklärte dem Gericht, daß er den Akten Nichts mehr beizufügen und durch seine That den Tod verdient habe, wünsche aber, daß ihm das Leben geschenkt werden möchte, theils seiner 2 Kinder wegen, und theils, um mit der That beweisen zu können, daß er in sich gegangen sei. Weitere Verbrechen (deren ihn dunkle Gerüchte beschuldigen wollten), lasten nicht auf ihm. Auch könne ihm gewiß Niemand nachsagen, daß er sonst je ungerechtes Gut gewollt habe.
Das Gericht, – in Erwägung,
1) daß theils durch das Geständniß des Inquisite, theils durch Uebereinstimmung desselben mit andern erwiesenen Thatsachen erhoben vorliegt: Es habe Schläpfer in der Absicht, den Zürcher zu berauben, diesen vermittelst eines für sich allein tödtlichen Messerstiches in das Herz und zwei mit bewaffneter Hand geführter, ebenfalls unbedingt tödtlicher Schläge auf das Hinterhaupt getödtet und ihn nachher seiner Baarschaft im Betrage von 34 Fr. 60 Rp. und einer amtlich auf 16–17 Fr. gewertheten Taschenuhr wirklich beraubt hat, welche Gegenstände jedoch alle rückerhältlich waren,
2) daß Schläpfer diese That unter keinen die Zurechnung aufhebenden Umständen, sondern im Zustande vollkommenen Selbstbewußtseins vorbedacht und ausgeführt hat,
3) daß sein reumüthiges, umständliches und wahres Bekenntniß im Anfänge der Untersuchung und ohne noch vorher überführt zu sein, als Milderungsgrund der Strafe für sein Verbrechen anzusehen ist, wogegen hinwieder die Beharrlichkeit in seinem Vorbedachte und die Dreistigkeit, mit welcher er die That zur hellen Tageszeit und in dem Hause des Getödteten und so, daß dieser sich dagegen nicht schützen konnte, vollführte, als erschwerend erscheint,
erkannte:
1) Es sei Schläpfer unter Hinweisung auf den § 71 des Strafgesetzes vom hohen Obergerichte zu beurtheilen wegen Mordes, begangen an Bartholome Zürcher mittelst eines ihm in das Herz gestoßenen Messers und durch zwei mit bewaffneter Hand geführte Schläge an das Hinterhaupt, in der Absicht, den Getödteten zu berauben, welche Absicht er sogleich nach dessen Ermordung ausführte, indem er demselben 34 Fr. 60 Rp. Baarschaft und eine auf 16–17 Fr. gewerthete Uhr raubte – welche Gegenstände aber alle rückerhältlich waren – unter Berücksichtigung der in Erwägung dieses Gutachtens aufgeführten mildernden und erschwerenden Umstände.
2) Habe der Angeklagte sämmtliche Prozedurkosten zu tragen. Das hohe Obergericht versammelte sich den 23. Juni in Trogen. Die Vertheidigung des Angeklagten und seines Beistandes förderte nichts Neues mehr zu Tage. Der Angeklagte benahm sich auch hier reumüthig u. ergeben. Das Gericht erließ folgendes Urtheil:
In Sachen
des Johann Ulrich Schläpfer von Grub, wohnhaft auf Steinegg in Speicher, geboren 1821, Ehemann der Anna Oertli, Vater von 2 Kindern, Berufs Metzger, verbeiständet durch Herrn Rathsherr Bartholome Haas von Speicher, wohnhaft in Grub, beklagt: wegen Mordes (gleichlautend mit dem Urtheil des Kriminal- und Polizeigerichtes) hat das hohe Obergericht erkannt:
1) Es sei in Anwendung des Art.H des Strafgesetzbuches über Johann Ulrich Schläpfer die Todesstrafe verhängt,
2) Sei in Anwendung des Art. 4 des Strafgesetzbuches die Todesstrafe durch Enthauptung zu vollziehen,
3) Sei dieses Todesurtheil in Anwendung des Art. 23 des Strafgesetzbuches, des Art. 5 der Verfassung und des Art. 82 des Strafverfahrens dem ehrsamen großen Rathe zur Begnadigung vorzulegen.
Man war allgemein gespannt auf die Schlußnahme des großen Rathes, um so mehr, da dieser Fall der erste war, der in Anwendung der neuen Verfassung und Gesetze an das Forum der Behörde gelangte. Der traurige Gegenstand bildete das Tagesgespräch. Verstand und Unverstand, Lieblosigkeit und Grundätzlichkeit sprachen sich für und gegen die Todesstrafe überhaupt und für und gegen Anwendung derselben im vorliegenden Falle aus. Doch muß zur Ehre des Volkes gesagt werden, daß die anfängliche natürliche Entrüstung über den gewaltsamen, fürchterlichen Eingriff in die Rechte der persönlichen Sicherheit in den letzteren Tagen im Allgemeinen einer milderen Stimmung Platz machte, wozu nicht wenig beitrug, was man über die bußfertige, ergebene Haltung des Delinquenten, wie über seinen früheren unbescholtenen Lebenswandel vernahm.
Schläpfer selbst hat kein Begnadigungsesuch an den großen Rath gerichtet. Er äußerte sich, er betrachte die Schlußnahme desselben als den Ausspruch des göttlichen Willens und lege daher sein Schicksal ohne Weiteres in dessen Hände. Werde ihm das Leben geschenkt, so verdanke er es um seiner Kinder willen und, um durch ein gutes Verhalten zu zeigen, daß es ihm mit seiner Reue Ernst sei. Müsse er den Tod leiden, so habe er es verdient, und es sei vielleicht besser für ihn.
Die Sitzung des großen Rathes fand Montags den 30. Juni statt. Die sämmtlichen auf diesen Straffall bezüglichen Akten der Kantonal-Verhörkommission, die ihnen beigegebenen Belege, das Urtheil des Kriminal- und Polizeigerichtes vom 16. Juni 1862 und die Strafsentenz des Obergerichtes vom 23. desselben Monats, sodann Bericht und Antrag der Standeskommission und endlich die von drei Anverwandten des Schläpfer, von dem Herrn Ortspfarrer und dem Herrn regierenden Hauptmann seiner Bürgergemeinde Grub eingereichten Petitionen, so wie die von Herrn Pfarrer Bion abgegebene schriftliche Relation über den Seelenzustand des Beklagten und damit verbundene Fürsprache der Begnadigung wurden vollständig vorgelesen, und nach der daraufhin gewalteten Berathung beschloß der große Rath, den diese wichtige Angelegenheit beinahe 5 Stunden beschäftigt hatte:
1) Es sei die Begnadigung zu verweigern und demzufolge die Todesstrafe an dem Verurtheilten zu vollziehen.
2) Diese Schlußnahme sei dem Inquisiten durch den Herrn Rathsschreiber Hohl, in dessen Eigenschaft als Kantonspolizeidirektor, im Begleite des Herrn Landschreibers Schläpfer und des Herrn Landweibels Sonderegger, dieser mit der Standesfarbe, zur Kenntniß zu bringen.
3) Der Kantonspolizeidirektor, Herr Rathsschreiber Hohl, habe alle auf die Exekution sich beziehenden nöthigen Anordnungen zu treffen, als Regierungsabgeordneter, begleitet von Herrn Landespolizeiverwalter Sturzenegger und von dem Herrn Landweibel Sonderegger, von diesem in der Standesfarbe, die Exekution zu überwachen und hierüber der Standeskommission einen Bericht, der den bezüglichen Kriminalakten beizulegen sei, abzugeben.
4) Die Hinrichtung habe am morgen den 1. Juli zu einer von dem Regierungs-Abgeordneten näher zu bestimmenden Zeit, immerhin aber spätestens 6 Uhr Morgens, durch den Exekutor Johann Baptist Bettenmann von Altstätten stattzufinden.
Wie wir gestern gemeldet, hat der große Rath in seiner Sitzung vom 30. Juni dem Raubmörder Schläpfer die Begnadigung verweigert und zwar mit 41 gegen 13 Stimmen. Edel und warm soll, wie wir vernehmen, im Schoße des großen Rathes für Begnadigung des Unglücklichen, wie gegen die Todesstrafe überhaupt gesprochen worden sein. Auch durch eingegangene Bittschriften von seiner Frau, dem Gatten seiner Schwester, von seinem Stiefbruder Johannes Lanker, vom regierenden Hauptmann und dem Pfarrer seiner Vatergemeinde und Hr. Pfarrer Bion, der in amtlicher Stellung an die Behörde zu referiren halte und das Gesuch des Delinquenten selbst befürwortend empfahl, wurde Fürsprache für den Unglücklichen eingelegt. – Wie ernst indeß der große Rath den Fall behandelte, geht daraus hervor, daß die Verhandlungen volle 4 Stunden dauerten. – Der Delinquent selbst hat seinen 2 unschuldigen, unmündigen Kindern ein Abschiedswort hinterlassen, das dem großen Rathe ebenfalls mitgetheilt worden und ein schönes Zeugniß für die reumüthige und christliche Gesinnung des Verurtheilten sein soll.
Gestern Morgen, den 1 Juli, früh 6 Uhr, wurde die Exekution durch Meister Bettenmann von Altstätten in Gegenwart des Regierungsabgeordneten, Herrn Kantonspolizeidirektor Rathsschreiber Hohl und der ihn begleitenden Herren Verhöraktuar Sturzenegger und Landweibel Sonderegger (letzterer in der Standesfarbe), rasch und glücklich vollzogen. Gefaßt und ruhig, ja muthig, mit christlicher Ergebenheit, ging er dem schauerlich blutigen Tode entgegen, betete auf seinem letzten Gange und unterhielt sich mit den ihn begleitenden Geistlichen, den HH. Knaus in Speicher und Büchler in Wald.
In der Nähe des Schaffots, unmittelbar vor seiner Entkleidung, kniete er nieder, hob seine gefesselten Hände empor und flehte ganz vernehmlich, daß Gott ihm gnädig sei und ihn stärken wolle, sowie auch, daß Andere an ihm ein warnendes Beispiel nehmen möchten. Mit hoch zum Himmel erhobenem Blick empfieng er den tödtlichen Schwertstreich. – Herr Pfarrer Bion hielt die Standrede, die in kurzen ergreifenden Worten die Stelle Jak. 1, 14, 15: »Ein Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebieret sie die Sünde, die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebieret sie den Tod« – auf den traurigen Fall anwandte und mit ernsten Mahnungen schloß. Für den günstigen Eindruck derselben zeugt, daß sie mit lautloser Stille angehört wurde.
Trotz der frühen Morgenstunde hatten sich 4000–5000 Zuschauer, darunter auch viele aus dem weiblichen Geschlecht, bei dem Trauerspiele eingefunden, es fehlte auch diesmal nicht an leichtfertigen, rohen und lieblosen Reden. Doch fühlen wir uns der Obrigkeit recht zu Dank verpflichtet, daß sie eine Zeit bestimmte, die geeignet war, auf den Ernst der Masse einzuwirken und dem Leichtsinn und der Trunkenheit vorzubeugen. Die Menge zerstreute sich still und ruhig.
Ebenso anerkennend erwähnen wir der Vollzugsmaßregeln, nach welchen die bisherigen peinlichen Formalitäten, wie öffentliche Anhörung des Urtheils vor dem Rathhause nicht mehr in Anwendung kamen. Die entsetzlichen Schläge der Armsünderglocke hingegen mußte man wieder vernehmen. Möge die »Appenzeller Zeitung« nie mehr in den traurigen Fall kommen, über den Vollzug eines Bluturtheils referiren zu müssen.
Wenn das Ganze, das wir über den merkwürdigen Kriminalfall mittheilten, hie und da einen aufmerksamen Leser zum Nachdenken veranlaßt hat und für die Folge ein, wenn auch geringes Material zur Kulturgeschichte unseres Landes bietet, so ist unsere Absicht erreicht.
Geständniß des Metzger Schläpfer über
seinen an B. Zürcher in Speicher verübten Raubmord
»Ich bin schuldig! Ich bin der Thäter! Bei dem Grabgeläute des Zürcher, das ich so eben höre, durchschauert’s mich; ich will das Bekenntniß ablegen. Ich habe schon lange ein trübes Leben geführt; Alles ist mir mißglückt und ich habe meinem Leben schon mehrmals ein Ende machen wollen, bin aber allemal, wenn ich es thun wollte, verhindert worden. Ich war schon seit längerer Zeit in Geldverlegenheit, dies und der dadurch hervorgerufene häusliche Unfriede waren Ursache, daß ich mich mehr oder weniger dem Trünke ergab und so immer mehr in den Rückstand kam. Letzten Mittwoch gegen Morgen, ich lag noch zu Bette, ist mir der erste Gedanke zur That eingefallen. Ich hatte kein Geld, kein Fleisch mehr; ich wußte mir nicht mehr zu helfen. Um halb 5 Uhr stand ich auf und machte eine Anzahl Würste. Jener Gedanke wuchs immer; ich konnte seiner nicht mehr los werden. Es war eine unglückliche Stunde! Nachdem ich meine Geschäfte in der Metzge abgemacht, gefrühstückt und mich noch mit meinem ältern Kinde etwas verweilt hatte, wickelte ich das Stilet, den ich immer in der Metzg aufzubewahren pflegte, in ein Papier ein, steckte es zu mir, in der Absicht, zu Zürcher zu gehen, ihn um ein Darlehen von 20 Fr. zu ersuchen und falls er mir nicht entsprechen würde, von dem Stilet Gebrauch zu machen. – Ich dachte, Zürcher werde das Heugeld erhalten haben, sein Hausmann Kästli sei fortgezogen, er sei nun allein zu Hause, wenn er mich abweise, so wolle ich mit »Gröbi« hinter ihn her und ihn ums Leben bringen. Ich dachte den ganzen Morgen hin und her, wie ich’s auch noch anders machen könnte, allein ich fand keine andere Hülfe und immer kam ich wieder auf jenen Gedanken. Ich gieng, es mag so halb 9 Uhr gewesen sein, direkt zu Zürcher. Ich traf noch den Kästli (Miethsmann) bei Hause und gieng daher, nachdem ich gefragt hatte, ob er nichts kaufe, in die Wirthschaften von Tobler und Zürcher im Bendlehn und trank an beiden Orten einen »Pfiff«, im ersteren auch einen Schoppen Most, sodann gieng ich in’s Brugger’s, wo ich eine Zigarre kaufte und sie ansteckte, und begab mich wieder zu Zürcher, den ich im Stalle traf; ich fragte ihn, ob er mir Spießholz zu kaufen geben könnte; solches hatte ich war nöthig, deßwegen gieng ich aber nicht hin; das war nur der Vorwand, um mit Zürcher zu reden, er sagte ja und zeigte mir das Holz mit dem Bemerken, er müsse es noch zuerst auslesen. Ich erwiederte, ich werde es des Nachmittags holen. Inzwischen kam Jakob Bondt und brachte dem Zürcher‚ Milch, er kam mir unerwartet, ich wußte nicht, daß er dem Zürcher Milch bringe. Nach seinem Fortgehen gieng ich mit Zürcher aus seinem Hausgange, wo Bondt abgestellt und mit Zürcher noch gesprochen hatte, die Treppe hinunter wieder in den Stall. Dort sagte ich zu ihm: »Zürcher, gieb mir doch 20 Fr., ich bin in großer Noth, ich kann nicht mehr weiter schaffen, und du kannst das wohl, ich gebe es dir wieder.« Er sagte: »Ich kann nicht, ich habe selbst Schulden.« Ich ersuchte ihn sehr, aber in aller Güte darum. Mir klopfte das Herz; ich dachte, es ist doch eine traurige Sache, daß du zu so etwas schreiten mußt; wenn du es sonst machen könntest, so wolltest du ihm lieber das Geld sonst nehmen. Ich sagte zu ihm, er solle sich besinnen, ich komme etwa in einer halben Stunde wieder. Dann gieng ich hinaus, ob durch die Hausthüre oder durch das Tennsthor, kann ich nicht mehr sagen, und in das Kellerli hinunter, wo auf einer Bank ein Beil lag; ich dachte, ich wolle zuerst sehen, ob ich Geld bekomme, ohne den Zürcher zu tödten, nahm daher das Beil und gieng in den hintern Keller hinüber, von diesem durch die Küche und den innern Hausgang die Treppe hinauf, fand aber die Kammerthüre geschlossen; ich gieng wieder die Treppe hinunter und in die Stube und von da in die Kammer, wo ich mit dem Beil die Thüre eines Schrankes aufsprengen oder aufzwängen wollte, allein es nicht zu Stande brachte, ohne starkes Gepolter zu verursachen. Ich gieng unverrichteter Sache wieder mit dem Beil hinunter, ließ es im innern Hausgange vor der Stubenthüre, verließ das Haus wieder durch den Keller und stellte mich, als komme ich wieder von außen her. Wir trafen uns im äußern Hausgange. Ich sagte nochmals zu ihm: »Willst du mir jetzt 20 Fr. geben?« Er sagte: »Ich kann nicht.« Ich entgegnete: »Ja, du kannst!« Nun gieng er in den innern Hausgang und ich ihm nach; drinnen sagte ich: »Du mußt mir 20 Fr. geben; ich gehe dir nicht mehr aus dem Hause.« Endlich sagte er, er wolle sie mir geben, gieng die Treppe hinauf und ich mit ihm; darob wurde er zornig und sagte, das sei keine Manier, so gebe er mir die 20 Fr. nicht, faßte mich an und drohte mit Anzeige machen. Wir giengen wieder miteinander zur Kammer hinaus, die Treppe hinunvter, und unten an derselben, im innern Hausgange, wollte er das Fenster aufmachen und rufen. Ich hielt ihn, und auch das Fenster hielt ich zu. Wir zankten noch; ich sah mich verrathen; und nun – nahm ich das in der Brusttasche meines Ueberhemdes versorgte Stilet, schob es innen am Ueberhemde hinter dem Rücken durch und steckte ihm dasselbe in die Brust. Vorher schon hatte ich mir vorgenommen, es so zu bewerkstelligen, daß er nicht lange zu leiden habe, sondern fast ohne Empfindung sterbe. Ich gab ihm deshalb den Stich etwas ob der linken Brustwarze; ich wußte, daß ein Stich an dieser Stelle rasch zum Tod führe. Zürcher bückte sich nach dem Stiche, faßte mir die Hand, in der ich das Stilet hielt, machte eine Kraftanstrengung und wollte mir dasselbe zu entreißen suchen; ich kam mit der Spitze an die Wand und dasselbe zerbrach; das abgebrochene Stück muß im Hausgange liegen geblieben sein oder in der Wand stecken. Das Messer selbst nahm ich in die Tasche. Zürcher fiel vor Verfluß einer Minute vorwärts gegen mich hin auf die Hände, dann schnell auf das Gesicht; ich schaute, ob er todt sei; er regte sich nicht im Mindesten mehr; doch damit er unter allen Umständen nicht lange zu leiden habe, ergriff ich das Beil und gab ihm mit demselben einen oder zwei Streiche mit dem Beilrücken an den Kopf. Vor der That klopfte mir die Brust fürchterlich; einem Menschen das Leben nehmen, erschien mir gräßlich; doch ich mußte, ich wäre sonst verrathen gewesen. Nach der That fiel ich fast zusammen; doch raffte ich mich auf, begab mich mit dem Beile in die Kammer, schlug zuerst die vordere Thüre an dem doppelten Kasten ein, sah nach Geld, fand aber keines; nun schlug ich auch die hintere ein und fand auch da keines; ich suchte schnell noch einmal und fand endlich ein »Geldsäckeli« mit 34 Fr. 60 Rp., die ich in meinen Geldbeutel nahm; das »Säckeli« warf ich wieder in den Kasten. Das Geld bestand in einem Zehnfrankenstücke, vier Fünffrankenthalern, zwei Zweifrankenstücken und 60 Rp. Münze, an der Mittelwand im vordern Kasten hieng eine Uhr mit einfachem Ketteli, an dem ein Petschaft ist; diese habe ich mit mir genommen und daheim hinter meine Metzg auf dem Boden unter dem Schirm auf die Mauer gelegt. Ich suchte noch nach Geld im Buffet in der Stube und Nebenstube, wo aber nur ein leerer Kasten und 2 leere Kisten standen, ich fand keinen Rappen mehr. Ich verließ nun das Haus, steckte noch vor Zürchers Stallthüre das Stilet am »Rähnli« in den Boden und gieng dem Röhrersböhel zu in das Sägli, an welch’ letzteren Ort ich sonst gegangen wäre.
Etwa um halb 2 Uhr sagte mir Kindlimanns Sohn, Zürcher sei erstochen worden. Ich gieng nun auch hin, um ihn anzusehen; ich dachte, dadurch könne ich den Verdacht von mir abwälzen, wenn solcher gegen mich bestehe, allein es war alles stille, niemand redete etwas; es schien mir, jeder denke, ich sei der Thäter; ich stand nun noch bei den Leuten vor dem Hause, um zu hören was etwa gesagt werde, aber man sprach sich nicht aus. Als ich heimkam, versteckte ich die Uhr, und ein Fünffrankenstück wechselte ich des Abends bei Bäcker Tobler’s, als ich mich mit der Polizei dorthin begeben mußte, das übrige Geld ist vorhanden, es ist mir hier abgenommen worden. Daß Zürcher in großem Geldbesitze sei, das glaubte ich nicht; denn er kaufte mir oft Würste ab, ohne sie zu bezahlen; ich wußte nur, daß der Senn von ihm weggefahren war und glaubte, er werde ihn bezahlt haben, ich gestehe, wenn mehr Geld vorhanden gewesen wäre, so hätte ich mehr genommen.
Auf die Frage, wie ich im Gegensatze zu meinem bisherigen unbescholtenen äußerlichen Wandel zu dem Verbrechen habe kommen können, weiß ich nicht, was sagen. Ich kann mit der größten Aufrichtigkeit erklären, daß ich sonst in meinem Leben nie einen Mordgedanken gehabt habe; gegen das Leben anderer wurde ich im Kriege gleichgültig; es machte mir wenig, wenn einer neben mir hinsank und des Meinigen war ich in letzter Zeit überdrüssig. Ich wußte mir nicht mehr zu rathen und zu helfen. An die Strafe, die ein solches Verbrechen nach sich ziehe, dachte ich nicht, bis die That geschehen war; da ergriff mich große Angst.